Gesetzgeberische und gesetzliche Grundlage für die Gleichstellungspolitik der EU

Die Europäische Union beruht auf der Rechtsstaatlichkeit. Das bedeutet, jede Maßnahme der EU basiert auf Verträgen, die von sämtlichen EU- Mitgliedstaaten freiwillig und in demokratischer Weise genehmigt wurden. Verträge sind verbindliche Abkommen zwischen den EU-Mitgliedstaaten, in denen die Zielsetzungen, Regelungen für die Einrichtungen der EU, Entscheidungsprozesse und das Verhältnis zwischen der EU und ihren Mitgliedern festgelegt werden[1].

Die EU‑Strategie für die Geschlechtergleichstellung

Die Gleichstellung von Frauen und Männern wird von der EU als wesentlicher Grundsatz, als Grundwert der EU und Voraussetzung für die Erreichung der Ziele in den Bereichen Wachstum, Beschäftigung und sozialer Zusammenhalt anerkannt.

Seit 1996 hat sich die Kommission einem dualen Ansatz zur Verwirklichung der Geschlechtergleichstellung verschrieben. Dieser Ansatz umfasst die Einbeziehung einer Geschlechterperspektive in allen Strategien und die Umsetzung spezifischer Maßnahmen zur Beseitigung oder Vermeidung von geschlechtsspezifischen Ungleichheiten. Beide Ansätze gehören zusammen und können einander nicht ersetzen. Gender Mainstreaming ist an sich kein politisches Ziel, sondern bedeutet, Geschlechtergleichstellung zu erreichen.

Was ist Gender Mainstreaming?  (EIGE, 2016)

Die Geschlechtergleichstellung stellt einen grundlegenden Wert der Europäischen Union dar und ist in den übergeordneten rechtlichen und politischen Dokumenten der EU festgeschrieben:

  • Artikel 2 und Artikel 3 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union[2] (TEU), (EUV), Artikel 21 und 23 der Charta der Grundreche[3], und Artikel 8 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union[4] (AEUV) schreiben die Gleichstellung von Frauen und Männern vor. Beispielsweise wird die Union in Artikel 8 des AEUV ausdrücklich aufgefordert, „bei all ihren Tätigkeiten Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen in allen Aktivitäten zu fördern“ (Gender Mainstreaming).
  • Der Vertrag von Lissabon[5] umfasst in der Erklärung Nr. 19 im Anhang zur Schlussakte der Regierungskonferenz, die den Vertrag von Lissabon annahm, eine Verpflichtung zur Gleichstellung von Männern und Frauen.[6]
  • Die EU-Strategie für Wachstum (Europa 2020)[7] enthält als ein Ziel die Förderung der Erwerbsbeteiligung von Frauen. Die Barcelona-Ziele[8] beinhalten zudem ein spezifisches Ziel zur Bereitstellung von Betreuungseinrichtungen für Kinder, um die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben für Frauen und Männer zu verbessern.
  • Das Lohngefälle und die organisatorische Vielfalt stellen eindeutige Prioritäten der Europäische Kommission dar, die direkt mit den Zielen der EU-Fonds verbunden sind. Diese europäischen Prioritäten wurden in der rechtsverbindlichen Richtlinie 2014/95/EU (Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen), in der unverbindlichen Empfehlung 2014/124/EU (zur Stärkung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Frauen und Männer durch Transparenz) und im Aktionsplan der EU 2017-2019 festgeschrieben: „Bekämpfung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles“.[9]

Im Rahmen des Strategischen Engagements für die Gleichstellung der Geschlechter 2016– 2019 [10] werden die EU-Fonds als das wichtigste Investitionsinstrument der EU auch zur Förderung der Geschlechtergleichstellung beschrieben:

  • kontinuierliche Überwachung und Unterstützung für Mitgliedstaaten bei der Erreichung der Ziele von Barcelona im Bereich der Kinderbetreuung,
  • Berücksichtigung der Ergebnisse einer öffentlichen Konsultation über die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben [11];
  • Unterstützung von Unternehmen bei ihren Anstrengungen zur Steigerung der Erwerbsbeteiligung von Frauen durch die Bereitstellung von Plattformen zur Charta der Vielfalt [12]
  • Berücksichtigung der Geschlechterperspektive bei der Umsetzung der Europäischen Migrationsagenda [13], Beseitigung der Hürden für die Beschäftigung von Migrantinnen und Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der vollständigen Ausschöpfung der Möglichkeiten, die der Europäische Sozialfonds (ESF) in dieser Hinsicht bietet,
  • Sensibilisierungsmaßnahmen zur Förderung von Frauen als Unternehmerinnen, einschließlich des Starts einer E-Plattform für Unternehmerinnen (2016) sowie der Einrichtung eines europäischen Netzwerks weiblicher Business Angels (2016) und des Network of Women Web Entrepreneurs Hubs.

Der Pakt für die Gleichstellung der Geschlechter (2011-2020)[14] umfasst die drei wichtigsten Bestrebungen der EU im Hinblick auf die Geschlechtergleichstellung:

  1. Überwindung der geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Bereichen Beschäftigung und sozialer Schutz,
  2. Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Frauen und Männer in allen Lebensphasen und
  3. Bekämpfung aller Formen der Gewalt gegen Frauen.

In der von den Einrichtungen der EU auf dem Sozialgipfel für faire Arbeitsplätze und Wachstum im November 2017 proklamierten europäischen Säule sozialer Rechte[15], werden 20 Grundsätze als Konvergenzrahmen für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen in der EU festgelegt. Sie ist in drei Kategorien eingeordnet: Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang (hierzu zählt der Grundsatz 2: Gleichstellung der Geschlechter [16]), faire Arbeitsbedingungen, sozialer Schutz und soziale Inklusion. Die Verknüpfung dieser Elemente mit der künftigen Umsetzung der EU-Fonds, insbesondere des neuen Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+), unterstützt die Umsetzung der Säule sozialer Rechte.

Die unlängst verabschiedete Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben [Richtlinie (EU) 2019/1158][17] fördert die Geschlechtergleichstellung und legt den Schwerpunkt auf die Umsetzung wesentlicher Elemente der Säule sozialer Rechte (Grundsatz 9: Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben[18]), durch gesetzliche und politische Maßnahmen:

  • Rechtliche Maßnahme: die Einführung von Vaterschaftsurlaub. Väter/gleichgestellte zweite Elternteile werden in der Zeit rund um die Geburt des Kindes einen Anspruch auf mindestens zehn Tage Väterzeit haben, die mit mindestens der Höhe des Krankengelds vergütet werden.
  • Rechtliche Maßnahme: Stärkung des bestehenden Rechts auf vier Monate Elternzeit durch die Festlegung, dass zwei Monate nicht auf den anderen Elternteil übertragen werden können. Diese werden in einer von den Mitgliedstaaten festzulegenden Höhe vergütet.
  • Politische Maßnahme: bessere Nutzung der EU-Fonds zur Verbesserung der Langzeitpflege und Kinderbetreuung.
  • Politische Maßnahme: Beseitigung finanzieller Fehlanreize für Zweitverdiener, die Frauen daran hindern, in den Arbeitsmarkt einzutreten bzw. Vollzeit zu arbeiten.

2015 haben alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, einschließlich der EU-Mitgliedstaaten, die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung[19]und die Ziele für nachhaltige Entwicklung angenommen. Die Geschlechtergleichstellung ist ein Querschnittsthema aller 17 Ziele sowie ein alleinstehendes globales Ziel (Ziel 5: Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen[20]zur Selbstbestimmung befähigen. In Abschnitt 20 der Agenda 2030 wird ausdrücklich die Wichtigkeit der Überwindung der geschlechtsspezifischen Unterschiede und der Unterstützung der Geschlechtergleichstellung durch die systematische Integration einer Geschlechterperspektive dargelegt, während das Rahmenkonzept der Ziele auch einen spezifischen Indikator für die Berücksichtigung des Gleichstellungsaspekts bei der Haushaltsplanung (Indikator 5.c.1) umfasst.

Weitere Informationen zu den Zielen für nachhaltige Entwicklung der UN, die die Überwindung der geschlechtsspezifischen Unterschiede und die Unterstützung der Geschlechtergleichstellung betreffen 

Absatz 20 der Agenda 2030:

Die Verwirklichung der Geschlechtergleichstellung und die Befähigung von Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung werden einen entscheidenden Beitrag zu Fortschritten bei allen Zielen und Zielvorgaben leisten. Die volle Entfaltung des menschlichen Potenzials und eine nachhaltige Entwicklung sind nicht möglich, wenn einer Hälfte der Menschheit die vollen Menschenrechte und uneingeschränkte Chancen weiter vorenthalten werden. Frauen und Mädchen müssen gleichen Zugang zu hochwertiger Bildung, wirtschaftlichen Ressourcen und politischer Teilhabe genießen und über gleiche Chancen wie Männer und Jungen auf Beschäftigung, Führungspositionen und bei Entscheidungsprozessen auf allen Ebenen verfügen. Wir werden auf eine beträchtliche Erhöhung der Investitionen zur Überwindung des Geschlechtergefälles und zur verstärkten Unterstützung der Institutionen hinarbeiten, die sich auf globaler, regionaler und nationaler Ebene mit der Gleichstellung der Geschlechter und der Selbstbestimmung der Frauen befassen. Alle Formen der Diskriminierung und der Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen werden beseitigt werden, auch durch das Engagement von Männern und Jungen. Die systematische Integration einer Geschlechterperspektive in die Umsetzung der Agenda ist von entscheidender Bedeutung.